Zum Weltgedenktag für verstorbene Kinder – 08. Dezember 2024
Eine Kerze steht auf der Fensterbank und schickt ein Licht nach draußen in die dunkle Nacht. Auf der Kommode steht eine Kerze vor unseren Fotos. Beleuchtet das, was unser Leben war. Mein Lachen, mein Glück, meine Liebe – auf einem Stück Papier hinter Glas.
Ich erinnere mich daran, wie ich an einem Tag im Februar 2012 mit Charlie in unserer Küche saß. Er war 3,5 Jahre alt. Wir malten, bastelten oder spielten. Vielleicht aßen wir auch. Ich weiß es nicht mehr so genau. Egal. Wir haben uns unterhalten. Wie so oft in den letzten Monaten fragte er mich plötzlich etwas über den Tod, über das Sterben. Seit unser Hund Odin im Sommer 2011 eingeschläfert werden musste, war das Thema präsent.
Charlie: “Mama, wenn is sterb, bist du dann dau-ig?”
“Ja, wenn du stirbst, bin ich traurig.”
“Weinst du dann?”
“Ja, dann weine ich.”
“Das will is aber nist.”
Dann weinte Charlie selbst. Ich habe ihn in den Arm genommen und getröstet. Gesagt, dass er noch lange leben wird. Wenige Minuten danach haben wir wieder gelacht, ich weiß nicht mehr über was, und gemeinsam gespielt.
Drei Monate später starb Charlie an den Folgen eines schweren hypoxischen Hirnschadens. Eine Herzmuskelentzündung hatte einen kardiogenen Schock ausgelöst, den die Rettungskräfte als Fieberkrampf abtaten. Unser Kind hatte kein Fieber. Unser Kind verstarb vor unseren Augen. Laut Gutachten erhielt Charlie fast 10 min. keinen Sauerstoff. Mein Mann und ich waren dabei, geschockt, vor Angst gelähmt. Wir sahen den Rettungskräften beim Nichtstun zu. Es kam kein Arzt, keine Ärztin. Die trafen wir erst später. Da war es zu spät…
Ich denke an die Kinder, nach denen sich Elternherzen sehnen. Ich denke an Lena, die von ihrem Freund ermordet wurde, an den kleinen Simon, der ertrunken ist, an Daniel, der sich das Leben nahm, an Stefan, der nach dem Fußballtraining mit seinem Auto gegen einen Baum gefahren ist, an die kleine Johanna, die kurz vor Weihnachten von einem Paketzusteller übersehen wurde, als er mit dem Wagen zurücksetzte, an Aaron, dessen Muskeldystrophie sein Herz zum Stillstand brachte, an Lisa, die von einem betrunkenen Autofahrer angefahren wurde, an Lenny, Thomas, Thorsten, Darg,…
Ich denke an die verstorbenen Kinder, ihre Eltern und Geschwister, die mein Mann und ich in den letzten zwölf Jahren kennengelernt haben. Ich denke an die, die wir nicht kennen. Die Kerze im Fenster brennt für alle. Das geteilte Schicksal, die Erfahrung, in Seelentiefe zu leben, eint uns Eltern weltweit.
Vielen Dank für eure Kerzen.